Danke Zug

Besuch in Kalesija 2009

Am Ostersonntag, abends punkt sechs Uhr, holte uns Eljub Ramic mit dem Auto in Oberwil ab und fuhr uns zur Autobahnraststätte Neuenkirch. Dort warteten schon zahlreiche Bosnierinnen und Bosnier auf den Bus aus Zürich, der sie in ihre Heimat fahren wird. Begleitet waren sie von ihren Verwandten, die sich von ihnen verabschiedeten. Nach unserem „Grüezi“ realisierten die Wartenden, vorerst zögerlich, dann aber mit herzlichem Zunicken und wohlwollenden Blicken, dass wir gemeinsam reisen würden. Wir fühlten uns bereits zugehörig. Kurz darauf traf der Bus ein. Wir stiegen ein, verstauten das Gepäck und schon begann die lange Fahrt. Alle winkten zum Abschied ihren Angehörigen; wir verabschiedeten uns von Eljub, der nach Zug zurückfuhr.

Nun sassen wir in der kleinen Welt des Busses, umgeben von liebenswürdigen Menschen, mit denen wir schon bald rege Gespräche führten. Derweil ging die Fahrt Richtung Gotthard bis zur Grenze in Chiasso zum ersten Kaffeehalt. Danach reisten wir weiter über Venedig nach Slowenien. Wir versuchten, in den nicht unbedingt bequemen Sitzen eine halbwegs passable Ruheposition zu finden. Unsere Reisegefährten, viel erfahrener als wir, gaben uns Ratschläge. Schliesslich fanden wir müde einen kurzen Schlaf, denn um 04.30 Uhr in der Früh erreichten wir die kroatische Grenze, wo wir zum ersten Mal unsere Pässe zeigen mussten. Schnell war dann die Weiterfahrt über die Autobahn zur bosnischen Grenze, wo wir um acht Uhr ankamen. Hier endeten auch die bequemen Strassen. Langsam nur ging es jetzt auf engen Nebenstrassen vorwärts. Bei einem weiteren Kaffeehalt mit Morgenessen kurz nach der Grenze konnten wir uns stärken. In diesem Beizli erlebten wir die ersten von vielen herzlichen Begegnungen. Menschen, die kamen, und solche, die zurück in die Schweiz fuhren, begegneten und umarmten sich. Wie selbstverständlich wurden wir rundum wie alte Freunde vorgestellt, obwohl wir uns noch keinen Tag kannten.

Gegen Mittag, nach einer 18-stündigen Carfahrt, erreichten wir bei kühlem, durchzogenem Wetter rechtzeitig Tuzla. Hier begrüssten uns freundlichst Elvis Dedovic und seine Frau Amra. In seinem bequemen Auto – nota bene mit Zuger Nummer – ging’s weiter zu unserem Hauptreiseziel, der Stadt Kalesija. Die Fahrt hatten wir nur unterbrochen für einen kurzen Mittagshalt in einem gemütlichen Landgasthof. Unser Hotel in Kalesija war einfach, sauber und wir wurden bestens bedient. Wir ruhten etwas, bevor uns am frühen Nachmittag Elvis und Amra zu einer kleinen Stadtrundfahrt abholten. Die ersten Eindrücke: immer noch Spuren des Krieges auf dem Balkan, halb zerstörte Häuser, von Maschinengewehrgarben verunstaltete Hausfassaden – was haben diese Menschen erleben müssen? Elvis und Amra fahren uns aus der Stadt nach Brda. Dort empfing uns die ganze Familie Dedovic. Der Empfang, die Gastfreundschaft in ihren im Krieg zerstörten und jetzt wieder aufgebauten Häusern war unglaublich herzlich.

Gegen Abend fand der offizielle Empfang des Stadtrates von Kalesija statt. In einem kleinen historischen bosnischen Häuschen, bei loderndem Cheminefeuer trafen wir uns mit dem Stadtpräsidenten Rasim Omerivic und seinem Schreiber Osmo Halilovic. Bosnische Spezialitäten zuhauf wurden in bunter Reihenfolge aufgetischt. Abgerundet wurde das köstliche Essen mit einer süss-sauren Dessertspezialität. Danach brachen wir auf zu einem weiteren Aussenbezirk, wo uns eine prächtig zusammengewürfelte Stadtprominenz erwartete. Die Gespräche waren das reinste Durcheinander, aber herzlich und irgendwie und in allen möglichen Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Gesten und Handzeichen.

Am anderen Morgen führten uns der Stadtpräsident und der Stadtschreiber noch einmal durch Kalesija. Wir besuchten verschiedene Schulen. Empfangen wurden wir von Schulleitern, Lehrern und Kindern mit Liedern und Dankbarkeit. Sie zeigten uns wie dringend die Hilfsgüter aus Zug, Schulbänke, Pulte, Wandtafeln usw. gebraucht werden. In dieser Stadt mit 40‘000 Einwohnern steht eine einzige Turnhalle; zwei Schulklassen turnten gemeinsam. Für uns ehemalige Lehrer war dies beeindruckend. Man stelle sich das in Zug vor: Turnunterricht mit 90 Kindern in einer Halle! Aber es gibt Zeichen des Fortschritts. Stolz zeigte man uns die Baustelle einer neuen Sporthalle. Das Projekt überzeugte. Ein Besuch bei der Feuerwehr durfte nicht fehlen. Wir sahen viel ausgemustertes Material unserer Freiwilligen Feuerwehr (FFZ), das hier noch einige Jahre gute Dienste leisten wird. Im Verlaufe des Nachmittags folgte der offizielle Empfang im Stadthaus. Sogar das Bosnische Fernsehen war anwesend. In der nationalen Tagesschau wurde über die Hilfsgüterlieferungen aus Zug sehr positiv berichtet.
Mit Huso Dedovic besuchten wir das Abendgebet in der nahen Moschee. Nach dem Gebet sassen wir mit dem Imam in einem Strassenkaffee zusammen. Eindrücklich werden mir seine Worte in Erinnerung bleiben: „Kirchen und Moscheen haben nur einen Sinn, wenn die Besucher diese in friedlicherem Zustand verlassen!“

Am Mittwoch Morgen wurde wir vom Stadtschreiber und Huso Dedovic abgeholt. Das Wetter hatte sich gebessert. Bei Sonnenschein fuhren wir durch eine fantastische, unberührte Landschaft entlang der serbischen Grenze Richtung Srebrenica. Die Gedenkstätte mit den 10’000 weiss leuchtenden Grabsteinen erschütterte uns. In Europa, nur eine gute Flugstunde von uns entfernt, ein Völkermord, der nicht hätte sein dürfen. Zwei junge Bosnier erklärten uns die Ereignisse vom Juli 1995. Unglaublich welche Greueltaten sich hier vor gut 14 Jahren abgespielt hatten. Noch immer werden Leichname in Massengräbern gefunden, die mit DNA-Analyse identifiziert und dann würdevoll bestattet werden. Wie sagten doch alle nach dem 2. Weltkrieg: „Nie wieder Krieg!“ – und trotzdem wurde Srebrenica zur traurigen Wahrheit.
Huso, der ebenfalls Verwandte im Krieg verloren hatte, beeindruckte uns mit dem Satz eines holländischen Studenten: „Nur ein Vorwärtsschauen und einen Einsatz für den Frieden bringt uns weiter!“

Zurück in Kalesija, für uns bereits ein bisschen „Heimat“, erwartete uns der Sattelschlepper, der inzwischen mit einer weiteren Lieferung Hilfsgüter aus Zug eingetroffen war. Wir durften diese dem Stadtpräsidenten offiziell übergeben. Feuerwehruniformen, Stühle von der Hochschule Luzern, Büromöbel von der Stadtverwaltung wurden freudig abgeladen und im Feuerwehrdepot zur weitern Verteilung sorgfältig aufgestapelt. Immer wieder wurden uns die Hände gedrückt, wir spürten tiefe Dankbarkeit.
Später, draussen im Dorf Brda, konnten wir gegen Abend durch die herrliche Landschaft spazieren. Dabei fotografierten wir liebliche Heutristen, wie wir sie noch vor 30 Jahren auf dem Zugerberg vorfanden. Abgeschlossen wurde der Tag bei der Familie Dedovic, die uns wiederum zu einem feinen Nachtessen eingeladen hatte.

Am Donnerstag morgen um sechs Uhr hiess es Abschied nehmen. Stadtschreiber Osmo holte uns im Hotel ab. Ein junger Student begleitete ihn als Übersetzer. Ein letztes Mal schauten wir zurück nach Kalesija, ehe es weiter ging durch herrliche Städte und Provinzen Richtung Sarajevo. Diese in einem Talkessel liegende Hauptstadt ist von beeindruckender Schönheit. In der wunderbaren historischen Altstadt genossen wir zum Mittagessen Sarajevo-Chewabji, kleine grillierte Würstchen mit Zwiebeln und Tomate in einer Brottasche. Danach fuhren wir nach Mostar, wo wir die Altstadt und die nach der Zerstörung wieder aufgebaute historische Brücke bewunderten. Auch hier waren immer noch unzählige Kriegsschäden sichtbar. Wir setzten die Fahrt fort zum Meer. In Neoum, dem einzigen bosnische Meereszugang, trafen wir nochmals Stadtpräsident Rasim Omerovic. Er hatte sich hier zu einem Treffen mit allen bosnischen Gemeindepräsidenten eingefunden. Ein kurzer, herzlicher Abschied – man würde sich wieder sehen: in Zug, Kalesija oder irgendwo auf der Welt. Schliesslich folgte die letzte Etappe auf dem Balkan, die Fahrt über die kroatische Grenze nach Dubrovnic. Hier verabschiedeten wir uns dankbar von Stadtschreiber Osmo und seinem Übersetzer.
Wir erholten uns noch zwei Tage im herrlichen historischen Dubrovnic und fuhren dann mit dem Schiff über die Adria ins italienischen Bari, wo wir den Zug Richtung Schweiz bestiegen.

Der Aufenthalt in Kalesija, die lange Fahrt durch ganz Bosnien, die vielen Begegnungen mit liebenswerten Menschen und unzählige Gespräche über Politik, Kultur und Wirtschaft waren eine Bereicherung unserer Lebensreise, die weiter gehen und uns – davon sind wir überzeugt – wieder einmal in das aufstrebende Bosnien führen wird.

Mit einem Zitat des bosnischen Schriftstellers und Philosophen Ivo Andric schliessen wir diesen Bericht ab: «Alles im Leben ist ein Brücke, ein Wort, ein Lächeln, das wir dem andern schenken.»


Susi Bossard-Rhyner, Andreas Bossard-Rhyner, Stadtrat

Quelle: stadtzug.ch

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